Seit ihrer Entstehung ist die Oberbaumbrücke eine wechselnde Einheit gegensätzlicher Bestimmungen. Wie ein roter Faden zieht sich dieser dialektische Widerspruch durch ihre Geschichte. Dabei sind alle Brücken im Dazwischen gelegen, doch hat sich aus dieser Gegebenheit im Fall der Oberbaumbrücke im Laufe der Zeit ein außerordentlich komplexes Gefüge entwickelt. Insbesondere durch die Diskrepanz zwischen äußeren und ästhetischen Funktionen präsentiert sich diese Brücke bis heute als ein Kraftfeld voller Gegensätze. Und in dieser Eigenschaft ist sie ein für Berlin wichtiges Bauwerk – denn die Brücke zeigt sich wehrhaft und stolz, zugleich aber mit Brüchen, die die Spuren der Geschichte nicht übertünchen, sondern offensiv auf sie verweisen. Insofern kann die Oberbaumbrücke zu einem gebauten Symbol der Stadt Berlin avancieren, zu einem Symbolbau der Einheit. Die Autorin belegt diese These durch eine facettenreiche Analyse, die historische, soziologische und kunsthistorische Aspekte berücksichtigt, ergänzt durch umfangreiches Bild- und Kartenmaterial.
1894 bis 1896 als Stärke demonstrierendes steinernes Monument der Deutschen Reichshauptstadt über der Spree errichtet, geriet die Oberbaumbrücke nach dem Bau der Mauer als direkter innerdeutscher Grenzübergang in ein labiles Dazwischen, verbindend und trennend zugleich. Heute erinnert die 1992 bis 1995 nach Plänen des bekannten Architekten Santiago Calatrava kritisch rekonstruierte Oberbaumbrücke, nunmehr mitten in der pulsierenden Metropole gelegen, an einen sinnlosen Krieg und die wechselvolle deutsche Geschichte. Seit ihrer kritischen Rekonstruktion ist sie darüber hinaus zu einem Träger zweier gegensätzlicher Architekturvorstellungen geworden. Calatravas Intentionen stoßen dabei auf die des Architekten Otto Stahn (1859–1930), ein in Vergessenheit geratener Berliner Baumeister, dessen Lebenserinnerungen hier erstmals in Auszügen veröffentlicht werden.