Die burgundische Prioratskirche von Anzy-le-Duc und die romanische Plastik im Brionnais, 2 Bde.

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Produktnummer: 11191 ISBN: 978-3-9806424-5-3 Kategorien: , Autor:

In den letzten Jahren ist innerhalb der kunsthistorischen Forschung eine zunehmende Auseinandersetzung mit den Problemen der Romanik im südlichen Burgund festzustellen. Insbesondere die Prioratskirche von Anzy-le-Duc, im Brionnais – einem Gebiet im Süden dieser Kunstlandschaft – gelegen, stand immer wieder im Mittelpunkt des Interesses. Dabei ist jedoch die Kunst im Brionnais merkwürdigerweise nie in ihrer Gesamtheit gewürdigt worden, obwohl ihre entwicklungsgeschichtliche Relevanz seit langem erkannt und immer wieder betont wurde. Ebenso fehlt eine Analyse der historischen Situation, durch die die geschichtlichen Triebkräfte des Kirchenbaus benannt werden könnten. Diese Lücke versucht die vorliegende Arbeit zu schließen. Sie versteht sich zum einen als Monographie zu der Kirche von Anzy-le-Duc, die das zentrale Werk der Romanik im Brionnais analysiert, zum anderen als Darstellung des gesamten romanischen Kunstschaffens in dieser Gegend zwischen ca. 1080 und 1140. Anzy-le-Duc wurde in der kunstgeschichtlichen Literatur als Bindeglied zwischen der Kunst des 11. Jahrhunderts und den großen Schöpfungen der romanischen Epoche in Burgund – Cluny und Vézelay – gewertet. Doch die Bedeutung für die überaus reiche regionale Baukunst wurde nie umfassend untersucht. Daher wird Anzy in dieser Untersuchung der größte Raum in der Darstellung eingeräumt. Ohne die architektonische Einzelanalyse zu vernachlässigen, wird das Hauptgewicht auf die Bauplastik gelegt, wobei eines der Hauptanliegen die Definition verschiedener Werkstätten ist, die die künstlerische Produktion des Brionnais bestimmten.

Rahmenbedingungen einer möglichen Kunstlandschaft

Um die Prioratskirche von Anzy-le-Duc mit ihrer reichen bauplastischen Ausstattung würdigen zu können, erscheint nicht nur eine Analyse des gesamten künstlerischen Umfeldes angeraten, sondern auch eine Diskussion des Brionnais-Begriffs. Nur so kann die mögliche kunstlandschaftliche Wirkung des Brionnais beurteilt werden. Im 11. und 12. Jahrhundert lag die politische Macht innerhalb des Untersuchungsgebietes in Händen der Adelsgeschlechter Semur und Le Blanc, wobei die Herren von Semur über ein größeres, zusammenhängendes Gebiet im Westen der Landschaft verfügten. Die Besitzschwerpunkte der Le Blanc, die zugleich das Amt des Vizegrafen von Mâcon innehatten, lagen im bergreichen Osten und Südosten des Brionnais. Nördlich des Flußlaufes Arconce, der das eigentliche Brionnais vom angrenzenden Charolais trennt, saßen verschiedene Vasallen der Grafen von Chalon. Die einzelnen Geschlechter waren mit verschiedenen monastischen Gründungen in der Region verbunden. Familiäre Beziehungen zwischen den Semur und dem Kloster Cluny führten nicht nur zur Gründung des Priorates von Marcigny, sondern in der Folge auch zu einer Clunisierung des Brionnais. Die großen cluniazensischen Priorate – neben Marcigny waren dies Charlieu und Paray-le-Monial, eine Gründung der Grafen von Chalon – scheinen die einzelnen Pfarreien unter sich aufgeteilt zu haben. Allerdings reichen Teile der Parochialstruktur in das 11., möglicherweise sogar in das 10 Jahrhundert zurück. Jedoch nicht alle Kirchen des Brionnais unterstanden dem Kloster Cluny. So gehörte Anzy-le-Duc, eine Gründung des 9. Jahrhunderts, zu Saint-Martin in Autun. Dies läßt sich auch am regionalen Besitz des Priorates ablesen. Ein weiteres wichtiges Kloster war Saint-Rigaud, von den Le Blanc als selbständige Abtei gestiftet, wohl um der cluniazensischen Expansion nach Süden Einhalt zu gebieten. Grundlage der wirtschaftlichen und geistigen Blüte der Klöster war das Stiftungswesen. Ganz im Sinne der Gregorianischen Reform wurden die Pfarrkirchen, aber auch kleine Kapellen aus Laienbesitz in monastischen Besitz übertragen, so daß das Eigenkirchenwesen im Brionnais in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts ein Ende fand. Die reichen Stiftungen waren die finanzielle Voraussetzung für die rege Bautätigkeit ab 1100.

Anzy-le-Duc – Die einzelnen Phasen in Architektur und Bauplastik

Anzy-le-Duc bildet den qualitätvollsten Bau der Region. Das Priorat geht auf Hugo von Poitiers zurück, der dort nach seinem Tod gegen 930 den Quellen zufolge (Vita Hugonis) als heilig verehrt wurde. Die Kirche – eine Basilika mit dreischiffigem, kreuzgratgewölbten Langhaus, ausladendem Querhaus mit fünfteiligem Staffelchor und Hallenkrypta – wurde in fünf Abschnitten errichtet. Phase I bilden die Krypta und der untere Teil der gesamten Ostanlage bis zu einer Höhe von ungefähr 1,5 m. Die Krypta kann nicht als autonomer Bauabschnitt betrachtet werden, denn ihre Grundrißform resultiert aus dem Projekt eines Staffelchores. Dieser war seit Baubeginn fünfteilig geplant, womit auch das anschließende Querhaus in seinen Ausmaßen festgelegt wurde. Der Bauphase IIa ist die Vollendung der Apsiden und des Chores, der beiden Pfeiler am Eingang des Altarhauses und der Querarme zuzuweisen. Die Gestalt der Westpartie entzieht sich unserer Kenntnis. Ob dieses Querhaus an einen bereits bestehenden Kirchenbau (Anzy I), der durch die Vita Hugonis gesichert ist und sich vielleicht an der Stelle des heutigen Langhauses befand, anschloß, muß offen bleiben. Ebensowenig läßt sich die Frage beantworten, ob das Querhaus in Phase IIa gewölbt war. Zwar spricht die Stärke der Umfassungsmauern dafür, doch setzt eine Wölbung (wohl als Tonne zu denken) mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Vierung voraus, über deren Existenz kein Beleg vorliegt. Auch die Frage, ob in Phase IIa ein Turm projektiert war, muß offen bleiben. Phase IIb umfaßt den Umbau des Querhauses, um das heutige Langhaus errichten zu können. Die beiden westlichen Vierungspfeiler, die Scheidbogen zu den zukünftigen Seitenschiffen, die Vierungskuppel und die Rundtonnen über den Querarmen sind diesem Abschnitt zuzurechnen. Der Turm wurde als Oktogon wohl schon am Ende des zweiten Abschnitts projektiert. Das Langhaus (Phase III) setzt sich sowohl in seiner Proportionierung als auch seiner Durchbildung von der Ostanlage der Kirche ab. Gleichwohl wird zwischen beiden Baukörpern ein Bruch vermieden, indem einerseits das Querhaus verändert wurde, andererseits das Langhaus die Anforderungen, die die Choranlage stellt, erfüllt. Diesem Bauabschnitt liegt ein einheitliches Konzept zugrunde, das auch bei der Ausführung der beiden Westjoche und der Fassade, die einer neuen Phase (IV) zuzuordnen sind, nicht durchbrochen wird. Im Westteil des Langhauses (Phase IV) zeigt sich eine Weiterentwicklung der Mauer- und Wölbtechnik, die nur schwer mit einem linearen Fortgang der Bauarbeiten nach einer zeitlichen Unterbrechung in Deckung zu bringen ist. Eine Gruppe von Steinmetzzeichen weist darauf hin, daß möglicherweise eine andere Werkstatt zu fassen ist. Diese Werkstatt hat auch im fünften Abschnitt, dem Turm, gewirkt, jedoch ist fraglich, ob sie ein schon bestehendes Konzept weiterführte.

Mit einigen dieser Phasen geht auch die Bauplastik konform. Insgesamt waren sechs verschiedene Werkstätten oder einzelne Meister in Anzy-le-Duc beschäftigt (Ostabschnitt; Langhaus; Westwerkstatt; Südportal-Werkstatt; Turmplastik; Tympanon von Arcy), wobei die Langhauswerkstatt wohl die größte, in jedem Fall aber die vielschichtigste war. Im Falle der Westwerkstatt kann mit dem Wechsel des Skulpturenstils auch ein Wechsel der architektonischen Formensprache konstatiert werden. Hier scheinen entweder die Steinmetzen beide Bereiche zu beherrschen, oder aber sie haben mit eigens für die Kapitelle verantwortlichen Bildhauern gewechselt. Im Falle des Übergangs von Quer- zu Langhaus zeigt die Formensprache der Kapitelle eine gewisse Tradition, die sich in einigen Stücken im Langhaus fortsetzt. Möglicherweise ist ein Steinmetz der ersten Werkstatt auf der Baustelle geblieben. Die Bauleute, die die Kapitellplastik im Altarhaus und in der Vierung geschaffen haben, waren auch für die Bauplastik am Außenbau der Apsiden und am südlichen Querarm verantwortlich (Werkstatt Anzy-Ost). Diese ist zwar stark restauriert, doch können einige Fragmente im Museum von Marcigny, die aller Wahrscheinlichkeit nach aus Anzy-le-Duc stammen, unsere Kenntnis bereichern. Die Plastik des Turmes gehört einer eigenen Phase an. Im Langhaus arbeiteten verschiedene Steinmetzen, die nicht alle aus dem gleichen künstlerischen Milieu stammten (Werkstatt Anzy-Langhaus). Zwar lassen die Rahmenbedingungen wie Material, Blockgröße und -gestalt, aber wohl auch die enge Zusammenarbeit den Eindruck eines homogenen Ensembles entstehen, doch zwischen den einzelnen Stücken bestehen eklatante Differenzen, nicht nur im Detail. Eine konservative Formensprache – an den Kapitellen der Vierung geschult – durchzieht den ganzen Bau. Unter den heraldischen Kapitellen, die strukturell eher statisch ausgerichtet sind, gibt es einige, die diese Vorgaben überwinden. Sie sind in engem Zusammenhang mit den neuartigen szenischen Kapitellen zu sehen, die wohl nicht in Anzy selbst entwickelt worden sind. Hier wurden fremde Vorbilder aufgegriffen. Der Meister dieser szenischen Kapitelle hat auch den Architrav und die Konsolen des Hauptportals geschaffen. Er scheint parallel zu einer neuen Werkstatt (Anzy-West) zu arbeiten, die das Westjoch des Langhauses im Obergaden vollendet und die dortigen Kapitelle geschaffen hat sowie für das Tympanon, die Archivolten, die Portalkapitelle und das Obergadenfenster verantwortlich war. Der Westabschnitt mit den genannten Teilen des Portals markiert einen Wendepunkt, denn hier wird erstmals der Einfluß Clunys spürbar. Das Südportal und die Konsolen des Langhauses gehören zusammen und wurden einer eigenständigen Gruppe von Bildhauern (Donjon-Werkstatt) geschaffen. Es gibt wenige Hinweise auf eine lineare Weiterentwicklung dieses Ateliers aus dem künstlerischen Milieu von Anzy-le-Duc; allerdings wurden einige Gestaltungsmerkmale aus der Architravgruppe übernommen. Aber auch die Westwerkstatt spielt für die Donjon-Werkstatt eine Rolle, denn hier finden sich einige Parallelen in der Ausbildung des Akanthus und im Faltenstil. Der Turm mit seinen etwas plumpen, auf Fernsicht gearbeiteten Kapitellen zeigt keine homogene Formensprache, und seine Stellung innerhalb des ganzen Ensembles ist nicht eindeutig. Einen diametralen Gegensatz dazu bildet das dritte Portal von Anzy-le-Duc (Musée Hiéron, Paray-le-Monial). Der Grad der Psychologisierung erklärt sich keineswegs aus den handfesten Schilderungen der Donjon-Werkstatt, sondern offenbart ein tieferes Verständnis für die inhaltlichen Zusammenhänge. Aber auch die ganze Durchbildung hat in Anzy keine Parallele.

Datierung von Anzy-le-Duc

Die einzelnen Abschnitte der Prioratskirche lassen sich wie folgt datieren: Die Krypta ist der älteste Abschnitt und kann aufgrund der Quellenlage (Translation der Gebeine des Hugo im Jahre 1001) kurz nach der Jahrtausendwende angesetzt werden. Damit geht die Formanalyse konform, denn die Krypta steht typologisch zwischen den aufwendigen Winkelgangkrypten der karolingischen Zeit (Auxerre, Flavigny) und den Hallenkrypten des frühen 11. Jahrhunderts (Tournus, nach 1007). Auf eine Datierung um 1000-1030 weisen auch Teile der Bauplastik hin (Verwendung eines Pilzkapitells, formale Parallelen hierzu in Quedlinburg, Wipertikrypta, frühes 11. Jahrhundert; stereometrische Kapitelle, Parallelen in Saint-Bénigne in Dijon und in der zerstörten Krypta von Vieux-Saint-Vincent in Mâcon). Die Chorlösung, die die gleiche ist wie jene der benachbarten Prioratskirche von Charlieu, orientiert sich eng an Cluny II (2. Hälfte des 10 Jahrhunderts), wenngleich es sich auch nicht um eine ganz enge Adaption handelt, wie sie in Perrecy-les-Forges zu finden ist (vor 1030). Der Vierungsbereich von Anzy dürfte zwischen 1080 und 1100 umgebaut worden sein, wobei aufgrund der Bauplastik eine Ansetzung um 1090 wahrscheinlich ist. Diese Datierung läßt sich mit Formensprache, Bauplastik und Mauertechnik einer Bautengruppe um die Vorhalle von Paray-le-Monial belegen, für deren Entstehung in den 1080er Jahren Quellen vorliegen (La Motte-Saint-Jean). Das Langhaus von Anzy schließt relativ eng an den Vierungsbereich an, wie die Analyse der Kapitellplastik gezeigt hat. Die Vollendung dürfte im ersten oder frühen zweiten Jahrzehnt des 12. Jahrhundert anzusetzen sein. Einen Anhaltspunkt gibt die Existenz völlig konformer Kapitelle in Vézelay, die vor 1106, wohl gegen 1104 entstanden sein müssen, wie sich aus der Quellenlage zu Sainte-Madeleine ergibt. Im Westabschnitt des Langhauses lassen die konstatierten Parallelen zur Chorplastik von Cluny III auf eine Vollendung im zweiten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts schließen, denn die berühmten Chorkapitelle müssen vor 1115 entstanden sein (inschriftlich belegter Terminus ante quem in der Gabrielskapelle).

Das romanische Bauschaffen im Brionnais

Ebenso wie Anzy-le-Duc werden auch die anderen romanischen Bauten der Region monographisch analysiert, allerdings in einem eigenständigen Katalogteil. Lediglich die Ergebnisse werden im nächsten Abschnitt der Untersuchung zusammengetragen. Die vergleichende Analyse der romanischen Kirchenbauten im Brionnais machte deutlich, daß die formale Bandbreite der Architektur beschränkt ist. Als weiteres Ergebnis ist festzuhalten, daß zwischen den kleinen Pfarrkirchen und den größeren Klosterbauten Abhängigkeitsverhältnisse bestehen. Und schließlich konnte eine ganze Reihe von Teilergebnissen erzielt werden, mittels derer eine chronologische Abfolge der Bauten etabliert werden kann.

Die These, daß die Verwendung des gelben Kalksteins mitverantwortlich für die homogene Formensprache sei, ist unhaltbar. An einer ganzen Reihe von Bauten wurde auch Sandstein oder granitenes Material benutzt, ohne daß sich diese Bauten elementar von den anderen unterscheiden würden. Vielmehr ist die lokalgeologische Situation für die Wahl des Bausteins verantwortlich, da fast immer das anstehende Material benutzt wurde. Auch die von Virey aufgestellte Theorie, im Brionnais sei schon in den frühesten Bauten die Technik des moyen appareil verwendet worden, ist unzutreffend. Das Mauerwerk der ersten Bauten erinnert an die Kirchen des Mâconnais, allerdings erfordert das Stützensystem von Anfang an die Verwendung von Quadern. Der Anteil des Quaderverbandes nimmt zwar zu, doch ist die Entwicklung nicht linear, denn im zentralen Bauwerk, dem Westjoch von Anzy, wo sich ein grundlegender Wandel vollzieht, ist eine nichtlokale Werkstatt festzumachen, die eine neue Tradition begründet. Diese neue Art des Bauens reicht bis hin zur Organisation des Baubetriebes, wie an Steinmetzzeichen in verschiedenen Kirchen der Region abzulesen ist. Die kleinen Pfarrkirchen nehmen, sofern es sich um anspruchsvolle Bauten handelt, an der Entwicklung der Prioratskirchen Anteil oder reflektieren sie zumindest. Nur die ganz bescheidenen Bauten, deren Errichtung möglicherweise schlecht finanziert wurde, bleiben davon unberührt.

Auffälligstes Kennzeichen der größeren Kirchen im Brionnais ist die Varietät der Wölbformen. Die Räume werden von Kreuzgratgewölben, Rund- und Spitztonnen geschlossen, ohne daß sich eine eindeutige Tendenz durchsetzen würde. Die späten Tonnenwölbungen von Châteauneuf und Semur sind eher in Zusammenhang mit der Übernahme des Aufrißsystems von Cluny III zu sehen als mit einer genuinen und linearen Entwicklung innerhalb des Brionnais. Die vorangehende Bautengeneration benutzte die existierenden Möglichkeiten mehr oder weniger gleichzeitig, wenn auch Anzy-le-Duc der erste erhaltene Großbau sein dürfte. Bereits gleichzeitig mit Anzy entstand in Charlieu ein tonnengewölbter Bau mit durchfenstertem Obergaden, während einige Jahre später in Iguerande und Varenne-l´Arconce Hallenkirchen errichtet wurden. Trotz dieser elementaren typologischen Unterschiede haben die Bauten eine einheitliche Formensprache, die aus der Summe einzelner Elemente gewonnen wurde. So sind die Chordispositionen ungeachtet der historischen Zugehörigkeit einer Kirche ähnlich; die einzige Ausnahme bildet der Umgangschor von Bois-Sainte-Marie. Alle anderen, untereinander eng verwandten Lösungen lassen sich als Spiegel liturgischer Anforderungen verstehen, die in jeder dieser Kirchen gleichermaßen gegolten zu haben scheinen. Was den Aufriß anbelangt, so ist das Stützensystem ein weiteres gemeinsames Element, denn der Kreuzpfeiler mit Halbsäulenvorlagen eignet sich für jede Art der Wölbung. Zudem sind die Scheidarkaden der verschiedenen Mittelschiffe jeweils sehr ähnlich gestaltet (Durchbildung und Proportionierung). Das gleiche gilt für den Vierungsbereich und die dortige Anbindung der Querarme. Auch die Bildung der Querhäuser ist relativ einheitlich. Im Außenbau erweist sich die Gestaltung der Chortravéen, der Stirnwände und der Apsiden als sehr homogen. Bei Einzelformen wie Fenstern, Apsisgliederungen oder Wand- und Strebepfeilern wurde festgestellt, daß diese zwar nicht identisch sind, insgesamt aber einem einheitlichen Formenschatz entstammen; wichtig dabei ist neben der Durchbildung auch die Proportionierung. Dies gilt in gleichem Maße für die Bildung der Arkadenbogen. Hierin können sich lokale Baugewohnheiten oder Erfahrungswerte spiegeln, die von Handwerker zu Handwerker weitergegeben wurden oder innerhalb einer Werkstatt verankert waren. Bei anderen Bereichen der Architektur wie der Wahl des Bautyps oder der Wölbung mag die Rolle, die der Auftraggeber im Planungsprozeß spielte, größer gewesen sein. Die beiden späten Bauten Semur-en-Brionnais und Châteauneuf hingegen zeigen große Unterschiede, die sich aus ihrem architektonischen Gesamtsystem erklären. Es handelt sich um lokale Ableger des Architektursystems von Cluny III, die – zumindest in ihrer Formensprache – keinen direkten Anteil an der regionalen Entwicklung haben.

Die kleineren Pfarrkirchen lassen sich in verschiedenen Grundtypen fassen. Entscheidend dabei ist die Gestaltung des Altarhauses, über dem sich meist der Turm erhebt. Es wurde festgestellt, daß das Altarhaus oftmals mit Anräumen ausgestattet wird, die sich an der Querarmbildung der größeren Prioratskirchen orientieren. Dabei zeigt sich eine Entwicklung hin zu klar proportionierten Räumen, zu einem durchdachten Raumgefüge. Aber auch bei Bauten, die ein einfaches Chorjoch aufweisen, läßt sich dieser Prozeß belegen. In der Typologie der Pfarrkirchen geht das Brionnais keinen eigenen Weg, sondern nimmt an einer breiteren Entwicklung teil, wie die Vergleiche mit den angrenzenden Gebieten gezeigt haben.

Verknüpft man die einzelnen Ergebnisse und Entwicklungslinien bei den Detailformen miteinander, so gelangt man für die Großbauten zu folgender chronologischer Reihung: Die älteste Substanz, die sich im Brionnais erhalten hat, ist die Krypta von Anzy-le-Duc (nach 1000). Ältere Bauten sind im Brionnais nur durch Quellen bzw. Grabungen bekannt. So dürfte der Vorgängerbau der nur als Ruine erhaltenen Prioratskirche von Charlieu älter als die Krypta von Anzy sein. Die heute nur ruinös erhaltene Kirche von Charlieu hat mit Anzy die Ostanlage gemein, die als Nachfolgebau zu Cluny II anzusehen ist, ein Phänomen, das sich mehrfach in der Region findet (Perrecy-les-Forges, Paray-le-Monial I). Die chronologisch nachfolgenden Bauten sind der Vierungsbereich (zwischen 1080 und 1100 umgebaut) und das Langhaus von Anzy (Vollendung im zweiten Jahrzehnt des 12. Jahrhundert). Parallel zu diesem Langhaus ist die Prioratskirche von Charlieu entstanden, wobei sich nicht entscheiden läßt, welchem Bau die Priorität zukommt. Wie prägend Anzy für die Architektur des Brionnais war, zeigt die Gruppe Saint-Laurent-en-Brionnais, Saint-Germain-en-Brionnais und Bois-Sainte-Marie, die recht eng zusammengehören. Sie rezipieren die Formen des Langhauses von Anzy, zeigen aber in der Mauertechnik deutlich eine Weiterentwicklung. Die Kirchen dürften um 1115-1130 entstanden sein. Etwas später sind die Kirchen von Varenne-l´Arconce, Iguerande und Saint-Nicolas in Marcigny anzusetzen. Dort spielt der Quader am Bau eine größere Rolle, und auch die Oberflächenbehandlung des Steins ist eine andere. Die architektonische Formensprache bleibt jedoch erhalten. Die nach 1130 entstandene Kirche von Briant gibt für diese Gruppe einen Datierungshinweis. Die beiden späten Bauten in Semur-en-Brionnais und Châteauneuf wurden von der Forschung in die späten 1130er und 1140er Jahre datiert.

Unter den Pfarrkirchen ist die Kirche von Saint-Prix aller Wahrscheinlichkeit nach die älteste und datiert aus dem späten 11. Jahrhundert. Die Kapelle von Saint-Georges ist damit eng verwandt, auch wenn ihre aufgehende Architektur später entstanden ist. Die zweite Gruppe bilden die Kirchen von Montmégin, Saint-Martin-du-Lac, Saint-Martin-la-Vallée, Saint-Maurice-les-Châteauneuf, Saint-Martin-de-Lixy und Oyé, die wohl zwischen 1100 und 1120 entstanden sind. Verschiedentlich ergeben sich Parallelen zu Mauerwerk oder baulichen Details von Anzy-le-Duc. Saint-Martin-de-Lixy dürfte kaum vor 1100 anzusetzen sein, Saint-Martin-du-Lac ist eng damit verwandt und daher wohl im gleichen Zeitraum entstanden. Montmégin und Saint-Martin-la-Vallée sind im Mauerwerk ähnlich, während Saint-Martin-la-Vallée seinerseits mit Oyé Ähnlichkeiten in der Turmgliederung hat, die wiederum vom Turm in Anzy abzuleiten ist. Daher dürften diese Kirchen später entstanden sein als die beiden ersten Beispiele. Die Kirchen von Chapelle-sous-Dun, Vauban und Baugy sind in der Ausbildung des Chorjochs etwas fortgeschrittener und deshalb nicht unbedingt an den Anfang zu stellen. Auch die Mauertechnik in Baugy spricht für eine Datierung im fortgeschrittenen ersten Viertel des 12. Jahrhunderts. Montceaux-l´Etoile ist in weiten Teilen aus Quadern errichtet, im Aufgehenden sehr durchdacht und sorgfältig ausgeführt. Der Turm ist wegen seiner Verbindungen zu Anzy kaum vor 1120 entstanden. Die Pfarrkirchen von Briant (nach 1130), Vareilles und Curbigny sind ebenfalls zusammenzusehen. Vareilles mit seiner Turmgliederung, die sich an Paray-le-Monial, Saint-Laurent-en-Brionnais und Varenne-l´Arconce orientiert, ist kaum vor 1120 anzusetzen. Eine späte zeitliche Ansetzung der Gruppe läßt sich auch durch die Verwendung des Spitzbogens in der Kirche von Briant stützen. Die Kirche von Saint-Julien-de-Jonzy gehört, wie bekannt, mit ihrem Portal bereits dem Spätstil an, deshalb sind die meisten Abschnitte des Baus in die 1130er-1140er Jahre zu datieren. Mit Saint-Julien ist die Kirche von Ligny-en-Brionnais eng verwandt. Für Fleury-la-Montagne liegen keine deutlichen Anhaltspunkte vor; allerdings ist das Mauerwerk in Zusammenhang mit Iguerande zu sehen.

Konfrontiert man diese Übersicht mit den Quellen zu den Bauten, so zeigt sich, daß die Kirchen oftmals 15-20 Jahre nach ihrer Übertragung aus Laienbesitz an ein Kloster oder ein Kanonikerstift neu errichtet wurden (Baugy, Briant, Saint-Martin-du-Lac und Saint-Martin-la-Vallée), wobei manchmal gewartet wurde, bis auch alle Zehntrechte an den neuen Herrn übertragen worden waren (Briant). Daraus ist zu schließen, daß jeweils erst nach einer gewissen finanziellen Konsolidierung mit einem Neubau begonnen wurde. Neubauten bei monastischen Niederlassungen hängen hingegen von anderen Faktoren ab. So wurde in Saint-Laurent-en-Brionnais erst weit nach der Übertragung der ursprünglichen Eigenkirche ein Neubau realisiert. Auch in Charlieu reicht die Gründung weit zurück, zu der Erneuerung in romanischer Zeit besteht keine Verbindung. In Saint-Germain-en-Brionnais geben die Gründung des dortigen Kanonikerstifts und vor allem dessen Ausstattung mit Land nur einen vagen Terminus post quem (1095), der Bau selbst ist später entstanden. Die zeitliche Verzögerung ist wohl mit der langsamen finanziellen Festigung zu erklären; zudem befand sich in dem Ort bereits eine ältere Kirche, die zunächst wohl weiterbenutzt wurde. Hingegen sind Teile der Kirche (Ostteile einschließlich des Vierungsbereiches) von Iguerande bald nach der Übernahme der Verwaltungsaufgabe durch Marcigny (1100) neu errichtet worden. Der Neubau in Varenne-l´Arconce hängt mit der Umwandlung des ehemaligen Dekanats in ein marciniacensisches Priorat zusammen (um 1120). Das prosperierende Marcigny war anscheinend, zumindest bei seinen Prioraten, in der Lage, die Mittel für einen Neubau schnell bereitzustellen.

Bei der Errichtung der Pfarrkirchen war in einzelnen Fällen die nahegelegene Klosterkirche das formale Vorbild. So gab Anzy-le-Duc Anregungen für die Gestaltung der Türme von Baugy und Montceaux-l´Etoile; beide Orte liegen jeweils ca. drei Kilometer vom Priorat entfernt. Auch die Türme von Saint-Martin-la-Vallée und Oyé orientieren sich daran, wobei sie weiter entfernt von Anzy liegen. Ähnliches gilt für den Turm von Vareilles, der wohl maßgeblich von Saint-Laurent-en-Brionnais abhängig ist. Zugleich zeigt dieses letzte Beispiel, daß die Klosterkirchen ebenfalls miteinander in Verbindung stehen, allerdings sind die Entfernungen natürlich größer (vgl. die Verbindungen zu Paray-le-Monial und Varenne-l´Arconce). Anzy-le-Duc und Charlieu sind als Auftakt für die Raumgestaltung der ganzen Region zu betrachten. Prägend sind weniger die Einzelformen – der Turm von Anzy als Ganzes wird in keiner anderen Kirche wiederholt -, sondern das gesamte Architektursystem der beiden Kirchen. Die Chorlösung erscheint in fast allen anderen Bauten wieder, wenn auch in reduzierter Form, da auf die Querhausapsidiolen verzichtet wurde. Für die Form des Langhauses standen verschiedene Modelle zur Verfügung, die verwendet werden konnten, wobei diese verschiedenen Aufriß- und Wölbsysteme wegen der Pfeiler, der Jochbildung und der Arkadenform eng miteinander verwandt sind. Somit unterliegt die romanische Architektur im Brionnais in gewisser Weise einem mikroregionalen Beziehungsgeflecht; die Pfarrkirchen orientieren sich an den größeren Bauten, während diese untereinander in Beziehung stehen, allerdings nicht im Sinne bestimmter Abhängigkeitsverhältnisse. Es läßt sich auch keine Verbindung zwischen der Zugehörigkeit zu einem Orden oder einem Kloster und der Formensprache erkennen.

Gerade die ältere Forschung hat derartige ideengeschichtlicher Ansätze wiederholt verfolgt. Die Theorien zu den kreuzgratgewölbten Bauten geben hier ein beredtes Zeugnis. Doch die Analyse der kreuzgratgewölbten Bauten in Burgund konnte zeigen, daß die Vorbildlichkeit von Anzy relativiert werden muß. Sainte-Madeleine in Vézelay schließt sich in vielen Bereichen wesentlich enger an Cluny III an, und ähnliches gilt auch für die beiden kleineren Bauten Gourdon und Toulon-sur-Arroux. Issy-l´Evêque hat Saint-Lazare in Autun zum Vorbild. Nur Bragny-en-Charolais läßt sich direkt mit Anzy in Verbindung bringen.

Die romanische Bauplastik im Brionnais

Die erste Phase der Bauplastik im Brionnais wird von den beiden mutmaßlich frühesten erhaltenen Kirchen im Brionnais, Charlieu und Anzy-le-Duc, bestimmt, die zugleich zu den qualitativ und funktional anspruchsvollsten Bauten der Region gehören. Ob das bedeutende Priorat von Marcigny einen noch stärkeren Anteil bei der Entwicklung hatte, läßt sich wegen der geringen Fragmente nicht nachweisen. Aus ihnen spricht jedoch, daß Marcigny keine Sonderrolle gespielt hat. Die künstlerische Herkunft der Bauleute von Anzy und Charlieu läßt sich nur ungefähr bestimmen. Die Plastik des Forez und des Lyonnais hat als Quelle zu gelten, doch wo die unmittelbare Vorstufe zu finden ist, bleibt offen. Gleichzeitig handelt es sich bei den frühen Formen innerhalb Burgunds keineswegs um singuläre Erscheinungen, sondern um die Variante einer breiteren Entwicklung, die sich auch in Teilen des Nivernais (La Charité-sur-Loire) und im Umfeld des Cluniazenserpriorates Paray-le-Monial nachweisen lassen. In Paray könnten die Bauleute auch ihren Ursprung haben. Sowohl Anzy als auch Charlieu haben innerhalb des Brionnais gestalterische Maßstäbe gesetzt. Zugleich sind die beiden ersten Werkstätten für Gesamtburgund wichtig geworden. Die erste von ihnen findet sich auch in Vézelay und besitzt Ausläufer im Nivernais, die zweite läßt sich in verschiedenen anderen Bauten nachweisen, die in einem größeren Territorium verteilt sind. Es handelt sich dabei nicht etwa um kleine Landkirchen, sondern um wichtige Abteien wie Vézelay oder Tournus, verschiedene Klöster in Autun und die Kollegiatskirche von Beaujeu. Hieraus ist eine gewisse Geltung dieser Werkstatt abzulesen. Parallel zu Charlieu/Anzy-Langhaus kann innerhalb des Brionnais nur eine weitere Werkstatt nachgewiesen werden (Iguerande-Ost), die die gleiche Formensprache zeigt, wenn auch mit einer einfacheren Motivik, gleichwohl aber ähnlichen Arbeitsmethoden (Paarbildung; Blockbehandlung; Reliefstil). Schon in der ersten Bautengeneration wird, bei aller Beschränktheit der Kompositionsstrukturen (horizontale Zweiteilung, einzonige Akanthuskompositionen, korinthisierende Kapitelle, heraldische Kapitelle mit begrenztem Formenschatz) und der Detailbildung, die Basis für die stilistische Auffächerung geschaffen, die danach einsetzt. So kann die erste Phase der Bauplastik als überregionales Stilphänomen begriffen werden. Diese Entwicklungsstufe endet mit dem Eintreffen von Bauleuten aus Cluny, die Anzy-le-Duc vollendeten. Die Werkstatt findet im Autunois eine reiche Nachfolge (u. a. Issy-l´Evêque).

Mit der zweiten Bautengeneration innerhalb des Brionnais setzt eine Diversifizierung im skulpturalen Schaffen ein, das nun von der provinziellen Adaption der ersten Generation (Saint-Laurent) über eine inhaltliche und formale Steigerung dieses künstlerischen Erbes (Donjon-Werkstatt) zu weitgehend eigenständigen Lösungen (Werkstätten von Saint-Germain-en-Brionnais und Varenne-l´Arconce) reicht. Die Gründe für diese stilistische Auffächerung sind in der gesteigerten Bautätigkeit zu finden, deren Gründe eingangs genannt wurden. Der Anstieg der Bautätigkeit führte zu einem entsprechenden Bedarf an Bauleuten. Damit ging eine stärkere Regionalbindung der Steinmetzen einher, denn während die frühen Werkstätten für lohnende Ziele einen weiteren Weg unternahmen, machten die vielfältigen Bauaufgaben in der Region größere Migrationsbewegungen unnötig. Bei dieser regionalen Beschränkung der Werkstätten lassen sich zwei Tendenzen beobachten. Bei kleinen, bescheidenen Bauten wie Ligny-en-Brionnais, Montmégin, Oyé, Saint-Martin-de-Lixy, Saint-Martin-la-Vallée oder Saint-Maurice-les-Châteauneuf waren wohl rein lokale Handwerker für die Bauplastik verantwortlich, die kaum mit aufwendigeren Stücken in Berührung gekommen oder aber nicht in der Lage waren, solche herzustellen. Dies geht in den meisten Fällen mit den Beobachtungen zum Bau zusammen, denn die Architektur zeigt in der technischen Ausführung die gleiche Bescheidenheit wie die Bauplastik. Der Bautypus, der stärker liturgischen Anforderungen unterworfen ist, bleibt davon unberührt. Das Gros des Bauwesens im Brionnais basierte auf lokalen Kräften, nicht auf spezialisierten Fachleuten. Auch bei Kirchen, die einer etwas größeren Werkstatt wie der von Saint-Laurent-en-Brionnais zugewiesen werden können – Chapelle-sous-Dun, Vauban und Teile von Châteauneuf -, kann die lokale Bindung der Steinmetzen nachgewiesen werden. Anspruchsvollere Bauten wie Bois-Sainte-Marie, Iguerande oder Varenne-l´Arconce belegen, daß es durchaus Wanderbewegungen von Steinmetzen gab, doch handelt es sich dabei um geringe Entfernungen, die selten größer sind als 20 Kilometer. In diesen Kirchen geht der in der Architektursprache zu konstatierende Gestaltungswille mit einer gewissen ästhetischen Qualität der Bauplastik zusammen. Daher scheinen fähige, nicht lokale Kräfte mit der Bauausführung beauftragt worden zu sein. Die höhere Qualität betrifft jedoch nicht zwingend den Inhalt des Dargestellten. Monastische Anlagen verfügen nicht generell über ikonographisch aufwendigere Programme als Pfarrkirchen. Die kleinen Pfarreien von Montceaux-l´Etoile und Saint-Julien-de-Jonzy besitzen Portalanlagen, deren Tympana wirkliche Inhaltsträger sind, und auch Fleury-la-Montagne bedient sich komplexer Bildprogramme (Intercessio in Verbindung mit Anbetung der Könige), während die Aussagefähigkeit der Portale von Varenne-l´Arconce (Lamm Gottes) oder Bois-Sainte-Marie (Flucht nach Ägypten) schnell erschöpft ist. Auch in der Kapitellplastik gibt es keine Tendenz zu szenischen Zyklen oder ganzen Programmen, wie sie die großen Bauten in anderen Teilen Burgunds prägen (Autun, Vézelay oder Saulieu), im Gegenteil: Anzy-le-Duc und die Bauten der Donjon-Werkstatt sind hier als Ausnahme zu bezeichnen. Hinsichtlich der Qualität zeigen fast alle größeren Bauten im Brionnais, die ein Kloster oder ein Kanonikerstift waren, bauplastische Werke von höherem gestalterischem Rang; dabei mag es sich um die Donjon-, die Saint-Germain- oder die Varenne-Werkstatt handeln. Umgekehrt zeigt aber die Werkstattverteilung, daß nicht alle Pfarrkirchen von minderer Qualität sind. Entscheidend ist wohl der finanzielle Hintergrund. In bescheidenen Prioraten wie Sainte-Foy und Saint-Laurent-en-Brionnais wurde wesentlich weniger Wert auf die künstlerische Gestaltung gelegt als in größeren Anlagen. Umgekehrt ist in manchen Pfarrkirchen, die zu einem prosperierenden Priorat gehörten, festzustellen, daß auch bei den Landkirchen auf Qualität geachtet wurde (Montceaux-l´Etoile und das Priorat Anzy-le-Duc, Baugy bzw. Saint-Julien-de-Jonzy und das Priorat Marcigny) und nichtlokale Steinmetzen mit den Arbeiten beauftragt wurden. Dabei wurde jedoch nicht zwingend die Werkstatt des Mutterklosters weitergereicht, wie die aufgezeigte Verteilung der Werkstätten zeigt.

In dieser Blütezeit der romanischen Kunst im Brionnais sind die Werkstätten stark mit der Region verhaftet. Nur wenige Stilemente dringen nach außen, in angrenzende Gebiete. So hat die Donjon-Werkstatt auch außerhalb des Brionnais gearbeitet, wobei aber die Uferbereiche der Loire als Kerngebiete zu gelten haben (westlich der Loire: Neuilly-en-Donjon, Chassenard, Chenay-le-Châtel; östlich der Loire: Anzy-le-Duc, Priorats- und Pfarrkirche). Einer ihrer Steinmetzen war auch in Gourdon und Fautrières (Charolais) tätig. Das Charolais erweist sich durch verschiedene Bauten als ein Gebiet, in dem die Plastik des Brionnais zum Teil rezipiert wurde, wie in Mont-Saint-Vincent, in dem aber auch eigenständige Lösungen möglich waren, wie in Gourdon.

Umgekehrt sind während der zweiten Phase nur wenige, punktuelle Einflüsse festzumachen, die zudem nur bedingt Folgen zeitigten. Den ersten Entwicklungsschub leiteten die Steinmetzen aus Cluny ein, die Anzy-le-Duc vollendeten. Hier ist noch ein gewisser Einfluß auf die nachfolgende Entwicklung spürbar (Donjon-Werkstatt). Andere Werke, die von ihrer Hand stammen, haben sich im Brionnais nicht erhalten, was aber wegen der lohnenden Folgeaufträge in Perrecy-les-Forges, Mâcon und Avenas auch nicht verwundern kann. Der zweite Kapitellstil aus Cluny, der in der großen Abtei spätestens im zweiten Jahrzehnt virulent gewesen war, fand im Brionnais in den Schöpfungen der Varenne-Werkstatt Widerhall. Damit sind die wichtigsten Einflüsse auch schon benannt. Die Kunst von Sainte-Madeleine in Vézelay, und hier fast ausschließlich der Portalstil, wird an nur wenigen Bauten wirksam. Die Steinmetzen der Portale der Langhausfassade von Sainte-Madeleine wirkten im Umkreis von Anzy-le-Duc, wie sich dies am dritten Portal der Prioratskirche (Tympanon d´Arcy) und am Hauptportal von Montceaux-l´Etoile, das als Pfarrei dem Priorat Anzy unterstand, konstatieren läßt. Ein wichtiges Relais dabei könnte die Portalanlage von Perrecy-les-Forges gewesen sein, die historischen Hintergründe sind jedoch nicht zu benennen. Diese Werke entfalteten im Brionnais keine Breitenwirkung, sondern blieben isoliert. Entweder war der Formenschatz der im Brionnais arbeitenden Werkstätten bereits zu verfestigt, oder aber die Steinmetzen waren nicht in der Lage, diesen neuen Figurenstil zu adaptieren. Nur Fleury-la-Montagne zeigt einen stark provinziellen Reflex der nordburgundischen Plastik. Auch das zeitlich nächstwichtige Kunstzentrum Burgunds, die Kathedrale von Autun, findet im Brionnais keine Nachfolge. Im Gegensatz zur ersten Phase des Kunstschaffens wurde die Blütezeit von einer relativ großen Autonomie und Provinzialität bestimmt, die ihre Gründe in der oben dargestellten Auftragssituation und der hohen Zahl an regionalen Steinmetzen hat. Die Beobachtungen zur zweiten Phase der Bauplastik im Brionnais zeigt, daß es sich bei der Stilverteilung oftmals um eine Frage der Möglichkeiten handelt. Dabei bleibt aber die regionale Gebundenheit der Kunst, ungeachtet ihrer Qualität, gewahrt. Stücke, die auch im Rahmen des gesamtburgundischen Kunstschaffens weit über dem Durchschnitt liegen, bleiben die Ausnahme und stammen von nichtregionalen Künstlern. So ist der qualitätsvolle Durchschnitt, die durchdachte und technisch versierte Realisierung von Bauplastik, gepaart mit stilistischer Vielseitigkeit, in der zweiten Phase brionnaisischer Skulptur die Regel, nicht aber die impulsgebende Kraft, die der ersten Phase innewohnte.

Die dritte Phase der skulpturalen Entwicklung im Brionnais ist von der Übernahme fremder Formen bestimmt, was sich bereits in der zweiten Phase angekündigt hat. Die Vorhalle von Charlieu bildet das Zentrum, von dem aus die Bauleute sich in verschiedenen Kirchen des südlichen Brionnais verteilten. Dabei sind einige Untergruppen zu scheiden. Während das Tympanon von Saint-Julien-de-Jonzy noch sehr eng mit den Vorhallenportalen von Charlieu zusammengeht und wohl als Werk des dortigen Meisters zu bezeichnen ist, sind die figürlichen Konsolen von Semur-en-Brionnais und erst recht die Kapitelle von Châteauneuf und Saint-Bonnet-de-Cray lediglich allgemein als Schöpfungen der Vorhallenwerkstatt zu bezeichnen. Weder zeigen sie in der Ausarbeitung der Figuren die gleiche bildnerische Prägnanz, noch in der Darstellung des Ornaments die gleiche wuchernde Auffassung des Blattwerks. Trotz dieser Differenzen ist die Gruppe im Süden des Brionnais weit verbreitet. Die Begrenzung auf den Süden mag darin begründet sein, daß die Bauaufgaben in den weiter nördlichen Gebieten bereits abgeschlossen waren – lediglich an der Fassade von Saint-Nicolas in Marcigny kann die späte Gruppe direkt nachgewiesen werden -, sich aber andererseits im Beaujolais und Lyonnais lohnendere Aufgaben stellten. Daher könnte der Spätstil in der figürlichen Plastik keine wirkliche Breitenwirkung entwickelt haben. Sieht man nämlich von dem Tympanon in Saint-Julien-de-Jonzy ab, so scheint sich der Kern der Werkstatt nach Süden (Lyon; Savigny) oder nach Westen (Tournus) begeben zu haben, während die weniger begabten Kräfte in der Region kleinere Aufgaben wahrgenommen haben. Dabei spielt die figürliche Plastik eine völlig untergeordnete Rolle, es handelt sich fast immer um rein ornamentale Bauplastik. Auch jenseits der Loire finden sich in verschiedenen Bauten Ausläufer des Spätstils; der prominenteste Bau ist die Zisterzienserabtei La Benisson-Dieu, allerdings bleibt der Einfluß auf das Portal beschränkt. Bereits im Falle der Donjon-Werkstatt konnte festgestellt werden, daß die Loire keine Grenze mehr bildete. So überschritt die Plastik vor allem gegen Ende der Epoche die geographischen Grenzen des Brionnais und nahm an einem überregionalen Stil Anteil, wirkte mittels der späten Plastik von Charlieu möglicherweise sogar prägend. Dies kann jedoch erst entschieden werden, wenn ausreichende Forschungen zum Kreuzgang von Cluny III vorliegen. Für die weitere, Brionnais-interne Plastik ist eine gewisse Verflachung festzustellen, denn wenn man von den beiden Hauptwerken (Charlieu, Vorhalle und Saint-Julien-de-Jonzy) absieht, so handelt es sich um rein ornamentale Dekorelemente.

Die Konzentrierung des späten Stils im Süden des Brionnais wurde bereits damit begründet, daß nur dort noch lohnende Bauaufgaben zu erfüllen waren, die anderen Gebiete scheinen versorgt gewesen zu sein. So kann es auch nicht verwundern, daß die Werkstatt einen größeren Wirkungskreis hatte, der bis nach Tournus und Lyon reichte. Im Stilverhalten ist dabei eine Zweiteilung festzustellen, denn die weniger begabten Steinmetzen scheinen in der Region weitergearbeitet zu haben, während andere, die vorwiegend figürlich arbeiteten, bei wichtigen Bauunternehmungen außerhalb des Brionnais Arbeit fanden. Es läßt sich keine größere Werkstatt feststellen, die zeitgleich mit diesen Steinmetzen gearbeitet hat; nur die Ligny-Werkstatt zeigt hier gewisse Überschneidungen. Die Werkstatt der Vorhalle von Charlieu besitzt ein breites regionales Wirkungsfeld, ähnlich der Donjon-Werkstatt. Ob jedoch ältere Gruppen in der Region zu existieren aufgehört haben, als dieser neue Stil zum Tragen kam, oder ob sie darin aufgegangen sind, läßt sich nicht bestimmen. Die Charlieu-Werkstatt hat innerhalb des Brionnais für verschiedene Bauherren gearbeitet. Es scheint die stilistische Qualität gewesen zu sein, die neben der Auftragslage für die Verbreitung im Süden des Brionnais sorgte.

Diese Fülle von Werkstätten unterschiedlichen Niveaus ermöglichte Beobachtungen und Schlußfolgerungen zu den Arbeitsmethoden und der Organisationsform der einzelnen Ateliers, aber auch zur Wechselwirkung zwischen der künstlerischen Produktion und der geschichtlichen Situation. Diese Überlegungen sind allerdings allgemeiner Natur und dürften ähnlich in weiten Teilen Europas gegolten haben.

Gegen 1140 waren die Konsolidierung der Klöster und die Errichtung der Pfarrkirchen im Brionnais abgeschlossen. In den kleinen Landgemeinden war kein Bedarf für weitere Sakralbauten, und so finden sich im Brionnais nur vereinzelt Zeugnisse der Gotik oder der Neuzeit, meist als Renovierungen oder Neubauten nach kriegerischen Wirren. Erst das 19. Jahrhundert brachte wieder einen Aufschwung des Bauwesens, die schnell anwachsende Landbevölkerung brauchte größere Sakralräume. Dem Erneuerungsstreben des letzten Jahrhunderts dürfte etwa die Hälfte der ehemals romanischen Substanz im Brionnais zum Opfer gefallen sein.

Auflage

1. Auflage

Umschlag

Broschur

Jahr

2000

Maße

148 x 210

Seiten

381